... zum Nachdenken

© Alice Dias Didszoleit / pixelio.de
Hauptsache gesund!?

Zum obligatorischen Geburtstagswunsch, spätestens, wenn man die 50 überschritten hat, gehört: „… aber vorallem wünschen wir Dir Gesundheit- das ist doch das Allerwichtigste!“Kaum jemand wird an dieser Stelle ernsthaft widersprechen, zumal die Gesundheit, was auch immer genau darunter zu verstehen ist , tatsächlich einen Wert darstellt.

Gesundheit und Fitness haben es in der Wertehierarchie der westlichen Welt ziemlich weit nach oben geschafft. Mit großer Inbrunst werden für den Götzen „Gesundheit“ große persönliche Opfer gebracht: Fastenkuren, Diäten, Fitnessprogramme …. Und am Gesundheitsboom verdienen viele. Gesundheit scheint für viele inzwischen eine Art Ersatzreligion, an die sich eine riesige Industrie von der Medizintechnik bis zur ästhetischen Chirurgie, vom Fitnesszentrum bis zur Schönheitsfarm angehängt hat. In der Werbung werden zahllose Produkte angeboten wie man den eigenen Körper, sein Wohlbefinden und Schönheit optimieren kann. In zahllosen Sportsendungen, die von früh bis spät über den Bildschirm laufen, wird der schlanke, fitte, sportliche, schöne, leistungsfähige, also gesunde Körper präsentiert und propagiert.

Nichts gegen Fitness und Sport und natürlich hat jede und jeder eine Verantwortung für seinen Ernährungs- und Lebensstil ; aber mir scheint, dass dieser Boom zur gleichen Zeit die soziale Empfindsamkeit zusammenschrumpfen lässt und das Ego der Selbstvervollkommnung und Selbstoptimierung unnatürlich aufbläht.

Erleben wir heute in unserer westlichen Welt nicht eine heillose Flucht in die Gesundheit, die irgendwie Glauben macht, Krankheit, Sterben und Tod, seien gänzlich zu überwinden? Steckt darin nicht eine Form von Narzissmus, die wie der verzweifelte Abwehrversuch wirkt, alle Brüchigkeit des Lebens inklusive Krankheit, Sterben und Tod zu verdrängen? Konnten frühere Generationen noch auf ein Jenseits hoffen, der sie vom Zwang befreite, alles in der Spanne des irdischen Lebens zu erreichen, so ist mit dem Verschwinden der Jenseitsgläubigkeit auch der Druck gestiegen, dass sich alles im „Jetzt“ erfüllen muss.

Wer die Gesundheit als obersten Wert auf der Skala eines sich lohnenden Lebens einstuft, der muss auch die Konsequenzen für das Menschenbild akzeptieren. Wenn der eigentliche Mensch, der gesunde Mensch ist, der leistungsfähig und auch in einem wirtschaftlichen Sinn brauchbar ist, dann ist der chronisch oder unheilbar kranke, der behinderte oder alte Mensch ein Mensch zweiter oder dritter Klasse (oder wie im Nationalsozialismus „unwertes Leben“)? Was ist denn dann mit all jenen, die keine Chance mehr auf Genesung haben, auch ohne eigenes Verschulden oder den Sterbenden? Wer "Hauptsache gesund!" propagiert, vergisst zudem, dass es tatsächlich Menschen geben soll, die obgleich fast ihr ganzes Leben krank, ihr Dasein trotzdem als sinnvoll erleben.

In einer „Gesellschaft der Sieger“ (d.h. der Schönsten, Stärksten, Besten, Erfolgreichsten Klügsten..)jedenfalls scheint kein Platz für Niederlagen und Scheitern, für Krankheit und Behinderung. Denn kranke, behinderte und alte Menschen können ihre Existenz durch keinen Ertragswert ausweisen und rechtfertigen. Wer heute krank ist, soll möglichst schnell wieder gesund gemacht und in einer der vielen konkurrierenden „Gesundheitsfabriken “ „repariert“ werden; und dies schnell und ohne, dass er sich dabei auf tiefere Prozesse einlassen muss. Die moderne High-Tech-Medizin suggeriert, dass nahezu alles machbar ist. Und so glauben nicht wenige Kranke einen Anspruch darauf zu haben, dass das schmerzfreie Wohlbefinden möglichst schnell wieder hergestellt wird.

Dabei könnte die Krankheit zum Lehrmeister werden: wer krank ist, spürt seine Bedürftigkeit und Angewiesenheit, er wird arm in seinen Möglichkeiten, er spürt seine Schwäche und Hilflosigkeit. Und je näher der Tod rückt, umso deutlicher spürt mancher, dass er sich aus der Hand geben muss und sich ergeben darf. Krankheit lehrt die Endlichkeit und Ersetzbarkeit des eigenen Lebens und befreit von einem heute immer mehr um sich greifenden Machbarkeits- und Optimierungswahn. Sie zeigt, dass unser Lebensengagement bei allem Einsatz fragmentarisch bleiben wird und dies auch sein darf.

Eine Gesellschaft, die alte, kranke , behinderte oder sterbende Menschen nicht versteckt, sondern empathisch unterstützt (auch durch ausreichend vorhandene palliative Einrichtungen) bezeugt, dass der Mensch mehr ist als seine zweckhafte Verwendbarkeit und Leistungsfähigkeit. Sie tritt dafür ein, dass der Mensch eine Würde hat, die ihm keine Krankheit rauben kann.

Zum christlichen Glauben gehört die Überzeugung und das Vertrauen, dass sich Gott besonders dem Zerbrochenen und dem gebrochenen Menschen zuneigt und es einmal ein Land geben wird, in dem Schmerzen, Seufzer und der Tod überwunden sein werden.



Gustav Schädlich-Buter
Pastoralreferent
gustav.schaedlich-buter@pfennigparade.de



Ich danke Jens M. für diesen Link! Holger