Ralfs wochentägliche Gedanken


Im französischen Restaurant
Von Ralf Senftleben

Es ist voll.

Brechend voll.

Die Kellner schreiten würdevoll durch den Raum, mal hier, mal dort ihre Gunst versprühend.

Ein Mann steht plötzlich auf und sagt laut und scharf in Richtung eines der Kellner:



„Garcon! Ich habe Sie schon 2 Mal gebeten, uns die Rechnung zu bringen. Nun sind schon wieder 15 Minuten vergangen. Das ist eine Schande. So ein schlechter Service. Ich bin wirklich enttäuscht von diesem Etablissement."

Der Kellner dreht sich langsam um. Er beäugt den Mann von Kopf bis Fuß. Er nickt dann einmal und bewegt sich fort.

Die Frau am Nebentisch denkt sich:
„Ist das peinlich, einfach so durch den Raum zu brüllen."

Der Mann zwei Tische weiter findet:
„Der kann doch froh sein, überhaupt einen Platz in diesem Nobelschuppen bekommen zu haben."

Eine andere Frau überlegt:
„Ich wünschte, ich würde mich auch so trauen, den Mund aufzumachen und so für meine Rechte einzustehen."

Ein Mann am anderen Ende des Raumes denkt sich:
„Ich hätte den Kellner an seiner Stelle am Schlafittchen gepackt und ihm eine in die Fresse gehauen."

Die Frau am anderen Nebentisch grübelt:
„Das hat er ja wirklich ungeschickt angestellt. Ich wäre halt einfach zum Kellner hingegangen und hätte ihm gesagt, dass ich es eilig habe."

Und noch ein anderer Mann meint:
„Junge, der hat sich aber gar nicht im Griff. Arme Wurst."

Eine Situation.

6 Meinungen dazu. 6 Deutungen der Situation.

Wir alle sehen die Welt nicht so, wie sie ist.

Wir sehen die Welt, wie wir selbst sind.

Wir erkennen uns in fast allem dort draußen wieder.

Wir beziehen fast alles auf uns selbst und unseren Erfahrungshorizont.

Die Welt ist unser Spiegel.

Und wir sehen uns selbst in allem, was da draußen passiert.

Das zu begreifen und zu verstehen, lässt uns entspannter und auch ein bisschen demütiger durch die Welt gehen.

Wenn ich erst einmal begriffen habe, dass die Realität viele Gesichter hat.

Und dass ich die EINE WAHRHEIT wahrscheinlich nicht erkennen würde, selbst wenn sie vor mir stände.

Du merkst schon. Mir war heute ein bisschen philosophisch zumute.

Wahrscheinlich was Falsches gegessen.

Alles Gute für dich. Und nichts zu ernst nehmen, denn es ist nur dein Spiegel.

Ralf